5 wichtige Ereignisse im Medien-Monat April 2022
Trendwende im Journalismus
zusammengestellt von Oskar H. Metzger
- Info-Hunger: Krieg begünstigt Fernsehen
Ihr Wissen über den Ukraine-Krieg beziehen die Deutschen zu größten Teilen aus den klassischen Medien. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Verbandes Bitkom. So gaben 98 % der Befragten an, ihr Wissen über den Krieg aus Radio oder Fernsehen zu beziehen und 51 % aus Printmedien. 62 % gaben Online-Nachrichtenseiten als wichtigste Informationsquelle an, auf soziale Netzwerke vertrauen lediglich 42 %. Die Umfrage zeigt dem DJV, „dass insbesondere in Krisensituationen der Journalismus einen hohen Stellenwert genießt“.
- Langsamkeit: Wichtig für Ukraine-Nachrichten
Die neuesten Nachrichten über den Krieg in der Ukraine haben sich in den letzten Tagen widersprochen, beklagt Georg Häsler, Redakteur für Sicherheitspolitik der NZZ. Dies zeige u.a., wie unübersichtlich die Lage gegenwärtig ist – und wie beide Kriegsparteien sich der sowjetischen Technik der „Maskirowka“, der Verschleierung, bedienen.
In diesem Krieg der Worte und Bilder stoße das Konzept der so genannten „breaking news“ an seine Grenze: Mit der Digitalisierung werden die Nachrichten fast in Echtzeit aufgeschaltet. Die Einordnung folgt erst später.
Damit erhalten die Info-Krieger nach Einschätzung von Häsler eine Chance auf die Deutungshoheit: „Wer zuerst eine Nachricht absetzt, kann diese zuspitzen und das so genannte Framing, die Rahmung, mitbestimmen.“
Der Mut zu einer journalistischen Kultur der Langsamkeit in der weiteren Verarbeitung der Nachrichten zahle sich deshalb aus: Oft werde erst nach zwei, drei Tagen klar, was die eigentliche Botschaft hinter einer „breaking news“ war. Der Krieg in der Ukraine zwinge auch die Medien zur Selbstreflexion, um nicht zum Vehikel der strategischen Kommunikation aller Beteiligten zu werden.
- Corona: Freie Mitarbeiter leiden stark
Viele freie Journalisten wurden von der Corona-Pandemie hart getroffen. Während es für fast alle Freien gleichermaßen zu kurzzeitigen Einkommens- und Auftragseinbußen kam, blieben insbesondere nebenberufliche freie Journalisten im Print- und Lokalbereich längerfristig von Beschäftigungsmöglichkeiten abgeschnitten. Durch die Pandemie wurden bereits vor der Covid-19-Krise bestehende Probleme, wie etwa die schlechte Bezahlung, verstärkt. Sie bedrohen den Lokal- und Printjournalismus existenziell.
Das sind die zentralen Befunde einer Untersuchung über die „Erosion von Öffentlichkeit“ in der Corona-Krise, die die Otto Brenner Stiftung vorgelegt hat. Die Studie der Bremer Forschenden Prof. Dr. Barbara Witte (Hochschule Bremen) und Prof. Dr. Gerhard Syben (Forschungsinstitut BAQ Bremen) zeichnet mittels einer qualitativen Regionalstudie nach, unter welchen Bedingungen „Freie Journalisten in der Corona-Pandemie“, so der Untertitel der Arbeit, ihren Beruf ausüben mussten.
Die Ergebnisse zeigen ein breites Spektrum: In den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wurde die tägliche Arbeit durch die Hygienemaßnahmen umstrukturiert und dadurch aufwändiger. Die Beschäftigung freier Journalisten konnte jedoch aufrechterhalten werden – auch auf Grund der stabilen Finanzierungsgrundlage der Öffentlich-Rechtlichen. In Einzelfällen führten die Maßnahmen sogar zu höherem Personalbedarf, sodass einige Freie Einkommenszuwächse gegenüber der Vorkrisenzeit verzeichnen konnten.
Auf der hauptsächlich durch Tageszeitungen abgedeckten lokalen Ebene entfielen hingegen monatelang die Anlässe der Berichterstattung und damit auch die Beschäftigungsmöglichkeiten für Freie: Kulturelle Veranstaltungen, Termine der politischen Selbstverwaltung und Sportereignisse fanden überhaupt nicht oder nur sehr reduziert statt. Die Einkommenseinbrüche trafen dabei auf eine Situation, in der insbesondere nebenberufliche Freie bereits mit sehr niedrigen Honoraren zu kämpfen hatten.
„Häufig wird die Arbeit freier Journalistinnen und Journalisten bei Tageszeitungen und im Lokaljournalismus nicht einmal auf Mindestlohn-Niveau vergütet“, so Studienautor Gerhard Syben, „hier wirkte die Pandemie wie ein Brandbeschleuniger bestehender Probleme.“ So hätten sich im Zuge der Krise die Ambitionen vieler Freier verstärkt, dem Journalismus ganz den Rücken zu kehren oder zunehmend auf andere Jobangebote, beispielsweise aus den Public Relations, zurückzugreifen.
Die Studie zeigt, dass es parallel auch aufseiten der Redaktionen Überlegungen gibt, zukünftig auf den Einsatz nebenberuflicher freier Journalisten zu verzichten. „Beide Entwicklungen zusammen könnten dazu führen, dass ein Großteil der lokalen Berichterstattung aufgegeben werden muss – mit schwerwiegenden Konsequenzen für die demokratische Öffentlichkeit“, warnt Mitautorin Barbara Witte, denn: „Lokal- und Regionalzeitungen spielen eine sehr wichtige Rolle, wenn es darum geht, entscheidungsrelevante Informationen aus dem Nahbereich der Bürgerinnen und Bürger zu generieren.“
Missstände konstatiert die Untersuchung auch im Bereich der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen: Die Hilfen waren über lange Zeit unzureichend konzipiert und schlossen freie Journalisten als Soloselbstständige aus dem Pool der Anspruchsberechtigten aus. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass den Verlagshäusern, die für ihre festangestellten Journalisten das Instrument der Kurzarbeit einsetzten, untersagt war, in dieser Zeit Aufträge an Freie zu vergeben. Folglich waren die freien Journalisten oftmals auf eigene Rücklagen und Hilfe aus persönlichen Netzwerken (Familie und Freundeskreise) angewiesen oder musste ihren Lebensstandard einschränken.
Welchen Stellenwert der Journalismus für eine Gesellschaft wirklich habe, zeige sich insbesondere an seinen „Rändern“, also bei freien Journalisten, heißt es im Vorwort zur Studie. „Ein Marktversagen im Lokaljournalismus kann sich eine demokratische Öffentlichkeit nicht erlauben“, bekräftigt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung: „Zur nachhaltigen Verbesserung der Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen sowie der sozialen Absicherung aller freien Journalisten müssen gesetzliche Regelungen her, die eine weitere Erosion der Öffentlichkeit verhindern.“
- Hilfen: Geflohenen Journalisten eine Stimme geben
Verlage und Medienorganisationen stellen materielle Hilfen für geflüchtete Journalistinnen und Journalisten aus der Ukraine und aus Russland zur Verfügung. Im Exil sollen sie so die Möglichkeit bekommen, weiter ihren Beruf auszuüben.
Damit sie in Deutschland nicht in ein tiefes Loch fallen, gibt es inzwischen die ersten Hilfsangebote. So etwa den JX Fonds für Journalismus im Exil. Getragen wird er von mehreren NGO’s, darunter Reporter ohne Grenzen.
Und auch einige Zeitungsverlage haben erkannt, dass sie helfen müssen. Neben Geldspenden steht die Vernetzung von ukrainischen und russischen Exiljournalisten auf ihrem Programm. Den Geflohenen ihre Stimme zurückgeben ist für den DJV nicht nur ein humanitärer Akt, sondern in diesen Zeiten aktive Politik gegen Diktatur und Krieg.
- Zeitungsqualität: Was Leser wirklich schätzen
Lokaler Journalismus ist nicht nur für die persönliche Orientierung der Menschen relevant. Er ist auch sehr wichtig für die Gesellschaft insgesamt, meinen 90 % der deutschen Bevölkerung. Immer bedeutender für die Information vor Ort werden die digitalen Zeitungskanäle. Das unterstreicht die neue Studie „Zeitungsqualitäten 2022“ der Zeitungsmarktforschung Gesellschaft (ZMG), einer Forschungstochter des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV).
Erste Anlaufstelle zur wohnortnahen Information sind die lokalen und regionalen Tageszeitungen. Für 76 % der Bevölkerung sind sie „unverzichtbar und sinnvoll“ für Themen rund um den eigenen Wohnort. Dass eine gute lokale Berichterstattung etwas kostet, ist der Mehrheit dabei durchaus bewusst. Dies gilt auch fürs Digitale: 56 % geben an, dass ihnen die kostenfreien Artikel im Internet nicht ausreichen, um angemessen informiert zu sein.
Bezahlpflichtige Lokal- und Regionalnachrichten im Web genießen dagegen eine besonders hohe Wertschätzung. Denn sie werden von kompetenten Journalistinnen und Journalisten verfasst (80 % Zustimmung), halten einen immer auf dem Laufenden (69 %) und bieten exklusive Informationen (64 %). „Für vertrauenswürdige Lokal- und Regionalnachrichten im Internet bin ich bereit zu zahlen“, äußern 44 % der Befragten.
Für Werbung auf lokalen Nachrichtenangeboten im Internet geben die „Zeitungsqualitäten 2022“ ebenfalls grünes Licht: Die Finanzierung über Banner und Werbeeinblendungen sei weithin akzeptiert. Anzeigen im Umfeld der digitalen Lokalberichterstattung werden auch deshalb wohlwollend bewertet, weil sie den lokalen Handel unterstützen (55 %), für ortsansässige Unternehmen eine gute Möglichkeit sind, für sich zu werben (64 %), und Leserinnen und Leser auf interessante Angebote in der Region aufmerksam machen, geben diese selbst zu Protokoll.
Die Websites der regionalen Zeitungen bieten lokal Werbetreibenden ein vertrauenswürdiges Umfeld, von dessen Image sie selbst profitieren. So empfinden 82 % der Bevölkerung auch die Geschäfte, die auf den Zeitungsseiten werben, als seriös. Die Werbung selbst wird als glaubwürdig und zuverlässig (72 %) beurteilt. Da sie hilft, preiswerte Angebote auszuwählen (63 %), ist sie für rund die Hälfte der Befragten sogar genauso interessant wie redaktionelle Beiträge.
Oskar H. Metzger (Karikatur: Bubec).
Oskar H. Metzger profilierte sich als Ressortleiter bei Handelsblatt, Augsburger Allgemeine und WirtschaftsWoche ebenso wie als Herausgeber des Finanz-Pressedienstes und stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Journalisten-Verbandes.
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