5 wichtige Ereignisse im Medien-Monat Juni 2022
Kampf um die Existenz wird härter
zusammengestellt von Oskar H. Metzger
Meedia: Weitere Auflagenrückgänge
Das Institut für Demoskopie Allensbach bescheinigt der Mehrzahl der Zeitschriften und Zeitungen in der Analyse AWA 2022 laut Branchendienst „Meedia“ rückläufige Reichweiten. Lediglich neun der Top-50-Magazine gewannen dazu. Bei den Tageszeitungen hatte nur das „Handelsblatt“ Gewinne. Deutliche Verluste gibt es für „Bild“ und die Regionalzeitungen.
Während bei den Zeitschriften die „BamS“ und „Der Spiegel“ Leser und Leserinnen gegenüber der AWA 2021 hinzu gewannen, ging es für den „Stern“ um satte 5,6 %, bzw. 250.000 Leser und Leserinnen nach unten, berichtet Meedia. Fünf der Top-50-Titel verloren im Vergleich zum Vorjahr sogar 10 % und mehr ihrer Reichweite: Die „Brigitte“ mit einem Minus von 10,0 %, „Meine Familie & ich“ mit einem Rückgang von 11,1 %, „TV Hören und Sehen“, wo 12,7 % abhanden kamen, die „Bunte“ mit 13,8 % und „Sport Bild“, die sogar 14,1 % verlor.
Die größten Zuwächse in der absoluten Reichweite erzielte abgesehen von der „ADAC Motorwelt“ diesmal „Elle Decoration“. Um 150.000 Leserinnen und Leser oder 25,4 % ging es für den Titel nach oben. Ohnehin gewannen zahlreiche Wohn- und Bau-Zeitschriften Reichweite dazu. Womöglich eine Folge der Corona-Pandemie, in der es sich viele Menschen zu Hause gemütlicher machen wollten.
Bei den Tageszeitungen gibt es einen Titel, der gegen den Trend gewachsen ist: Das „Handelsblatt“. Um immerhin 40.000 Leserinnen und Leser, bzw. 8,7 %, ging es hier im Vergleich zum Vorjahr nach oben. Damit lässt das „Handelsblatt“ „Die Welt“ noch weiter hinter sich, die 5,3 % einbüßte. Sogar 6,0 % verloren hat „Bild“. Auch die regionalen Abo- und Kaufzeitungen gehören laut Meedia zu den großen Verlierern der AWA 2022.
Verleger: Jeder dritte Titel gefährdet
„Viele Verlage wissen bis heute nicht, auf welchem Papier sie im dritten oder vierten Quartal ihre Zeitschriften drucken sollen“, sagte Philipp Welte beim European Publishing Congress laut Informationsdienst „Kress“ in Wien. Doch nicht alleine die Produktion ihrer Zeitschriften macht den Verlegern derzeit Sorgen.
„Wir haben es zu tun mit einer bisher nie dagewesenen Kombination von strukturellen Veränderungen und massiven aktuellen Bedrohungen. Und im Ergebnis mit einer erschreckenden Erkenntnis: Die einzigartige Vielfalt der freien, journalistischen Medien, die die Verlage in Europa geschaffen haben, ist ökonomisch substanziell bedroht“, warnte Philipp Welte, Vizepräsident des Medienverbandes der freien Presse (vormals VDZ) und Mitglied des Burda-Vorstandes. Er geht davon aus, dass auf dem deutschen Markt jedes dritte gedruckte Medienangebot in seiner Existenz gefährdet ist.
Im Werbemarkt schlägt sich die aktuelle Unsicherheit laut Kress in einem signifikanten Rückgang bei den Anzeigen nieder. Zugleich leiden deutsche Medien nach wie vor massiv unter der Marktmacht US-amerikanischer Technologieplattformen. Google, Amazon und Facebook werden in diesem Jahr auf dem deutschen Markt über 8,8 Milliarden Euro mit Werbung erwirtschaften, was einem Marktanteil von 35,9 % entspricht.
Die wirtschaftliche Dimension der Gefährdung sei aber nur der eine Teil, so Welte. „Die andere Gefahr wächst und wuchert viel tiefer – wie ein Geschwür in unserer demokratischen Kultur. Es ist die Bedrohung der Freiheit des Denkens, der Meinungen, eine Bedrohung der Toleranz.“ Der Medienmanager kritisierte massiv die Politik: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Politik die Rolle der freien Presse nicht mehr versteht – oder nicht verstehen will.“
Beim European Publishing Congress wurde deutlich, dass es neben ernsthaften Sorgen auch berechtigte Hoffnung für die Zukunft der Medien gibt. Viele Medienhäuser sind mit ihren digitalen Angeboten gut vorangekommen und schaffen es auch, dafür zahlende Leserinnen und Leser zu gewinnen. Unter anderem präsentierten in Wien „Zeit“-Chefredakteur Jochen Wegner und Geschäftsführer Christian Röpke die Ergebnisse ihrer Strategie. Die Verlagsgruppe der „Zeit“ hat im Vorjahr erneut zugelegt. Bei den Digitalabos sogar um 43 %.
Dabei zeigt sich, dass es durchaus noch Lücken für Medien gibt. Bei den diversen Tests haben die Macherinnen und Macher der „Zeit“ eine triviale Schwachstelle entdeckt, das Wochenende. Sonntag ist der stärkste Abo-Tag und gleichzeitig bietet hier die Redaktion am wenigsten. Das ändert sich soeben: Mit einer digitalen Sonntagsausgabe soll diese Lücke, wie es bei Kress weiter heißt, geschlossen werden.
DJV: Verlage müssen einstellen
Der Deutsche Journalisten-Verband fordert die Zeitungsverlage auf, die Lokalredaktionen in spürbarem Umfang personell aufzustocken. Anlass ist die von Funke-Verlegerin Julia Becker auf dem European Publishing Congress 2022 in Wien vorgetragene Einsicht, dass die Sparrunden der Verlage auf Kosten der Lokalredaktionen „ein Fehler“ waren, der die Nähe zu den Leserinnen und Lesern stark eingeschränkt habe. Becker verwies auf die Bedeutung des Journalismus für die demokratische Gesellschaft.
„Ich kann jedes Wort der Funke-Verlegerin unterstreichen“, sagt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. Die Selbstkritik sei nur zu begrüßen. „Dabei darf es aber nicht bleiben. Den Worten müssen Taten folgen – überall, nicht nur bei Funke.“
Der DJV-Vorsitzende erinnert in dem Zusammenhang an den anstehenden Generationenwechsel in den Redaktionen: „Die Babyboomer gehen in den Ruhestand.“ Manche Verlage glaubten offenbar immer noch, freiwerdende Stellen einsparen zu können. Überall: „Das geht nicht, im Gegenteil müssen deutlich mehr redaktionelle Arbeitsplätze eingerichtet werden.“ Das sei unbedingt nötig, wenn der Lokaljournalismus eine Zukunft haben solle.
FAZ: Nobelpreismedaille versteigert
Der russische Journalist und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow hat seine Nobelpreis-Medaille für 103,5 Millionen Dollar versteiger, berichtet die „FAZ“. Der bei der Auktion in New York erzielte Erlös der Nobelpreis-Medaille soll geflüchteten ukrainischen Kindern zugutekommen.
Den Zuschlag für die Medaille sicherte sich laut FAZ ein bisher anonym gebliebener Bieter per Telefon. Der Erlös der Versteigerung geht nach Angaben des Auktionshauses Heritage Auctions an das Hilfsprogramm für geflüchtete ukrainische Kinder des UN-Kinderhilfswerks UNICEF.
Muratow ist der Chefredakteur der unabhängigen russischen Zeitung „Nowaja Gaseta“. Ende März musste sie ihr Erscheinen einstellen, nachdem sie von den Behörden wegen ihrer Berichterstattung über die russische Invasion in der Ukraine mehrfach verwarnt worden war. Muratow war, wie die FAZ weiter berichtet, wegen seiner Verdienste um die Meinungsfreiheit im vergangenen Jahr gemeinsam mit der philippinischen Journalistin Maria Ressa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden.
Presserat: Verstöße gegen Sorgfaltspflicht
Der Deutsche Presserat hat auf seinen Sitzungen vom 13. bis 15. Juni zahlreiche Rügen ausgesprochen, darunter folgende.
Für einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Ziffer 1 des Pressekodex wurde „Echo Der Frau“ gerügt. Das Magazin titelte: „KATE & WILLIAM – Baby Jubel! – JA! Es werden süße Zwillinge“. Im Text stellte sich jedoch heraus, dass sich die Schlagzeile lediglich auf die Wahrsagung einer „Hellseherin“ bezog. Damit erweckte die Redaktion den unbegründeten Eindruck, Prinz William und Herzogin Kate erwarteten tatsächlich Nachwuchs. Sie führte damit ihre Leserschaft massiv in die Irre.
Wegen eines schweren Verstoßes gegen die journalistische Sorgfalt nach Ziffer 2 des Pressekodex wurde die Online-Ausgabe von „TOP AGRAR“ gerügt. Das Portal hatte unter der Überschrift „80 % der Verbraucher lehnen Ersatzprodukte für Fleisch und Milch ab“ über eine Umfrage berichtet. Die Behauptung aus der Überschrift war jedoch nicht vom Umfrageergebnis gedeckt. Die Redaktion berief sich darauf, die Studie selbst nicht zu kennen, sondern deren Inhalt ungeprüft aus einer Pressemitteilung eines Verbandes übernommen zu haben. Dies bewertete der Presserat als massiven Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, zumal es sich bei der Pressemitteilung um eine eindeutige PR-Aktion handelte. Hinzu kam, dass die von der Redaktion nachträglich geänderte Überschrift ebenfalls sachlich falsch war.
„BILD.DE“ erhielt eine Rüge wegen einer Verletzung des Opferschutzes. Die Redaktion hatte unter der Überschrift „Es ist wie im Film abgelaufen“ über einen Prozess wegen eines Dreifach-Mordes in Norddeutschland berichtet und die drei Opfer identifizierbar abgebildet. Bei zwei Fotos konnte die Redaktion die Einwilligung der Angehörigen vorlegen, bei einem Foto jedoch nicht. Die identifizierbare Abbildung der getöteten Person stellt daher einen schweren Verstoß gegen Richtlinie 8.2 dar, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist.
Die „Siegener Zeitung“ wurde für einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex gerügt. Die Redaktion hatte vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs über Anfragen zu Jodtabletten bei Apotheken berichtet. Unter der Überschrift „Die ‚Anti-Putin-Tablette‘ ist gefragt“ veröffentlichte sie eine falsche Dosierungsangabe sowie falsche Informationen über die Einnahme der Tabletten in einer Region in unmittelbarer Nähe zu einem Atomkraftwerk. Gerade mit Blick auf das Thema Gesundheit hätte die Redaktion hier sorgfältiger recherchieren müssen.
Für einen schweren Verstoß gegen das Trennungsgebot von Werbung und Redaktion nach Ziffer 7, Richtlinie 7.2 des Pressekodex wurde „HÖRZU“ gerügt. Das Magazin hatte unter der Überschrift „So bleibt Ihr Herz gesund“ ein bestimmtes Präparat namentlich genannt, ohne dass ein Alleinstellungsmerkmal erkennbar war. Bei der Nennung des Produkts berief sich die Redaktion ausdrücklich auf einen Ernährungsratgeber von vier aus dem Fernsehen bekannten Ärzten. Nach Aussage des Verlags der Ärzte kam das erwähnte Präparat jedoch in dem Ratgeber nicht vor. Diese Irreführung der Leserschaft ist dazu geeignet, Glaubwürdigkeit und Ansehen der Presse nach Ziffer 1 des Pressekodex zu beschädigen.
Oskar H. Metzger (Karikatur: Bubec).
Oskar H. Metzger profilierte sich als Ressortleiter bei Handelsblatt, Augsburger Allgemeine und WirtschaftsWoche ebenso wie als Herausgeber des Finanz-Pressedienstes und stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Journalisten-Verbandes.
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